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Von 0 auf 100

Wenn wir Lehrkräfte eines besonders gut können, dann ist es beschleunigen. 

Von Null auf Hundert – von jetzt auf gleich.

Immer überraschend, immer im ungünstigsten Moment.

Dabei hatte der Tag so ruhig begonnen.





Gestern Abend, die Schulleitung genoss ein Glas Wein bei einem wunderbaren Konzert, nahmen wir uns vor, die letzten vier Schultage vor Weihnachten geruhsam, ohne Hektik und vor allem ohne Konflikte anzugehen.

Dementsprechend entspannt fuhr ich heute morgen in tiefer Dunkelheit zur Schule. Ich mag es, morgens so früh unterwegs zu sein. 

Um halb sechs sind die Straßen leer und die Schule liegt, 

geborgen in der Dunkelheit und in absoluter Ruhe, still und friedlich vor mir.

Manchmal werde ich gefragt, ob ich so früh morgens keine Angst habe allein in dem großen Gebäude, aber ich genieße die Ruhe und das stetig wachsende Leben im Haus.

Heute wie gesagt, sollte ein entspannter Tag vor uns liegen.

Das war der Plan.

Das trügerische an Plänen ist, sie ändern sich dermaßen schnell, dass man kaum zum Luftholen kommt.

Es war sechs Uhr, als mich die ersten drei Krankmeldungen von Kolleginnen erreichten. Da wir derzeit ohne Schulsekretariat auskommen müssen, sortierte ich gerade die Post, als die nächste Hiobsbotschaft eintraf. Während drei Krankmeldungen noch kein Grund zur Sorge sind, war die nächste Nachricht jedoch eher "umwerfender" Natur. Sämtliche Mitarbeiter des Offenen Ganztags seien krank, so erfuhr ich.

110 Schülerinnen und Schüler, die versorgt werden müssen und das ohne Personal.

Das Telefon läutete, die ersten Kolleginnen und Kollegen trudelten ein, schnell einen Aufruf an die Eltern im Netz absetzen, dann das Team bitten, die Eltern anzurufen.

Kolleginnen, die gerade entspannt zu einer Tasse Kaffee griffen wurden aufgescheucht und im Nu war es vorbei mit der Ruhe und der Entspannung. Jeder arbeitete konzentriert und eifrig seine Aufgaben ab. Informationen wurden hin und hergerufen und geschrieben. Besorgte Eltern beruhigt, der Vertretungsplan geschrieben und überlegt, was wann mit welcher Priorität bearbeitet werden muss.

Viel zu schnell schellt es zur ersten Stunde, unserem Offenen Anfang. Das Team hat sich blitzschnell auf die neue und überraschende Situation  eingestellt, der Informationsfluss ist gut, nun stehen zunächst die Kinder an erster Stelle.

Wir treffen uns zum montäglichen Adventssingen in der Aula, alle Kinder, alle Klassen, alle Mitarbeiter und man spürt nichts von der eben noch herrschenden hektischen Betriebssamkeit. Das gemeinsame Adventssingen läuft ruhig, besinnlich und in ruhiger Athmosphäre ab. Nur meine Klasse spürt anschließend, dass etwas nicht stimmt, denn statt mit mir, wird der adventliche Morgenkreis mit einer Kollegin durchgeführt. Es bleibt jedoch Zeit für eine kurze Erklärung und - wie immer - reagieren "meine" Kinder verständnisvoll.

Ich eile ins Büro und versuche den Informationsfluss per Mail, per Netz, per Telefon und Handy zu koordinieren. 

Mir bleibt wenig Zeit, ein dringendes Elterngespräch ist terminiert, ein Pressetermin steht auch noch an und das Telefon steht nicht still.

Untstat muss abgeschickt werden, die Bezirksregierung fordert Unterlagen des Seiteneinsteigers ein, die Stadt meldet sich und gibt Informationen zur vakanten Sekretariatsstelle durch. Zwischendurch stehen Eltern im Büro, die versuchen mir etwas mitzuteilen, doch wir müssen erst noch einige sprachlichen Hürden überwinden. Kinder brauchen Pflaster, Kolleginnen und Kollegen brauchen aktuelle Informationen und ich bemühe mich, Personal für den Ganztag ein- und anzufordern.

Nebenbei müssen noch letzte Details für den morgigen Ausflug der gesamten Schule ins Kino geklärt werden, ein Elternbrief für alle Schülerinnen und Schüler muss heute noch raus, der Kopierer streikt und der Servicemensch muss angefunkt werden.

Der Hausmeister muss zur Nachbarschule, Handwerker möchten wissen, wo sie etwas erledigen müssen, der Mattenaustauschdienst benötigt Unterschriften.

Ah, die Kollegin, die das Kinogeld verwaltet ist erkrankt, Überweisungen müssen schnell getätigt werden, letzte Absprachen zur Busfahrt getroffen werden.

Das E-Mailfach quillt über, Eltern melden sich und geben netterweise durch, wann und wie ihre Kinder ausnahmsweise anders betreut werden können.

Ich aktualisiere die entsprechende Liste beständig, ignoriere meine Mutter, die mit einem Male per WhatsApp wissen möchte, was meine Töchter denn eigentlich zu Weihnachten bekommen sollen.

Die Türklingel geht permanent, da das Sekretariat unbesetzt ist, verfüge ich über die Türgewalt und wenn ich nicht freundlich am Telefon nachfrage, um was es geht, frage ich in die Türsprechanlage, wer denn dort sei.

Eine Mutter möchte, sechs Wochen zu spät, dafür aber jetzt sofort auf der Stelle ihr Kind für das kommende Schuljahr anmelden, ein anderer Vater bittet mich um Geld. Essensgeld wird abgegeben, Geld wird gewechselt, blutige Knie verpflastert, Kolleginnen instruiert und jede Menge Schokolade konsumiert. So viel Zeit muss sein.

Wir teilen uns die Schulleitungsaufgaben wortlos, funktionieren im Team blind und perfekt und passen uns dem Eiltempo des Vormittags an.

Zwischendurch bewundere ich Kunstwerke der Kinder, lese kleine "Liebesbriefe" und plane den morgigen Tag. Übermorgen immer im Hinterkopf, mit vielen Kranken dafür zwei Unterrichtsbesuchen und einem weiteren wichtigen Gespräch.

Der Pressemann trifft ein, wir geben Informationen weiter, warten auf weitere Menschen für den Pressetermin und schauen zwischendurch in den Ganztag. Die Lage hat sich ein wenig beruhigt. Die Essensituation konnte geklärt werden, viele Kinder werden vorzeitig abgeholt, die Eltern zeigen sich - netterweise - äußerst verständnisvoll.

Schnell einen Happen Spaghetti gegessen, direkt Soße auf die weiße Bluse gekleckert. Egal, Pressetermin hin oder her, der Fleck ist jetzt eben da.

Die Paketboten stürmen die Schule, Unterschriften hier und da, irgendwo ist ein Abfluss verstopft und es fehlt immer noch ein Pressemensch. Zeit, um noch eben ein eindringliches Gespräch mit einem Kind meiner Klasse zu führen. In der Sporthalle ist etwas kaputtgegangen und der Sportkollege braucht noch ein OK für den Kauf von, von was?, ach ja, Trommelstöcken. Heißen die so? Ich sage, wir kaufen alles, die Co-Leitung rollt resigniert die Augen, wir stellen uns rasch für das Pressefoto auf, der Fleck kann nicht überdeckt werden.

Wir lächeln, plaudern, bedanken uns, haben weitere Gespräche im Kopf, planen die weitere Bürozeit und beantworten Fragen von Eltern, Kindern und Mitarbeitern.

Der Ganztag läuft minimalistisch, aber er läuft, langsam wird das Tempo gemächlicher und wir sitzen sogar einen Moment schweigend am Schreibtisch. Der ungewohnte Leerlauf irritiert uns und wir bekommen einen Lachanfall, als die Co-Chefin das Geburtstagsgeschenk für ihre Tochter aufreißt, weil sie denkt, das Geschenk sei für sie.

Hysterisches Kichern ist die Folge, möglicherweise ein Ventil der Beschleunigung des Vormittags. Ich habe das Gefühl, nun ist es endlich Zeit, an die Arbeit zu gehen.

Morgen früh genieße ich dann wieder für einen kurzen Augenblick die Stille der in der Dunkelheit liegenden Schule.

Wunderbar!

geschaefert am 17.12.2018, 19.58

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Maren
Dann wünsch ich Dir einen schönen Neustart und freue mich auf alles Geschäferte. ;-)

20.11.2018-6:07
Uta
Ich bin gespannt!
19.11.2018-18:18
kommentiert
Ina:
Ich habe ja schon viel Schlimmes/Unbegreiflic
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Zimmermännchen:
Wenn es nicht so wahr wäre, dann hätte ich
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